Bei den erstmaligen Lapurla-Awards legen wir den Fokus auf einen Aspekt, der leichter gesagt als konsequent eingelöst ist: Die Berücksichtigung des Kindswillens und Kindeswohls im Sinne eines erweiterten Partizipationsverständnisses. Dazu ein paar grundsätzliche Überlegungen, wie sie im eingangs erwähnten Positionspapier des Netzwerks Frühkindliche Kulturelle Bildung NFKB und Lapurla zum Recht auf Kulturelle Bildung ausgeführt sind (2021, S. 7–9):
«In Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention ist die Garantie verankert, die persönliche Meinung des Kindes in allen das Kind berührenden Angelegenheiten zu berücksichtigen. Artikel 12 enthält keine Mindestaltersgrenze: ‘Alter und Reife’ bieten also keinen Ermessensspielraum, ob ein Kind an einer Entscheidung beteiligt wird. Die Frage ist vielmehr, wie es beteiligt wird. Damit erwachsene Bezugspersonen den Kindeswillen entsprechend berücksichtigen können, müssen sie Kenntnis über altersgemäße Ausdrucksmöglichkeiten des Kindes haben.
Häufig zu beobachten ist die Tendenz, dass erwachsene Bezugspersonen insbesondere jungen Kindern gegenüber vorwiegend eine fürsorgliche Haltung entwickeln, einschließlich dem vermeintlichen Wissen über ihre Bedürfnisse und Wünsche (vgl. Deutsche Liga für das Kind 2016, o. A.). Eine entsprechende pädagogische Haltung, wie sie beispielsweise Loris Malaguzzi beschreibt, begegnet diesen Vorbehalten und Herausforderungen: In seinem Gedicht «100 Sprachen» beschreibt Malaguzzi (1990) das Sprachrepertoire von Kindern und verdeutlicht ihre vielfältige Dialogkunst und dass alle Ausdrucksmittel für Bildungsprozesse genutzt werden können.
Das Recht, gehört zu werden, geht weit über das «Zuhören» oder das «Kinder zu Wortkommen lassen» hinaus. Es reicht nicht aus, Wünsche oder Meinungen abzufragen. Vielmehr bedeutet die in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Berücksichtigung des Kindeswillens, dass Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen, geteilt werden und dadurch Lösungswege mit Kindern gemeinsam zu finden sind. Die Entscheidungsmacht darf nicht ausschließlich bei den begleitenden Erwachsenen verbleiben, wobei es auch nicht darum geht, alle Entscheidungsbefugnisse an Kinder abzutreten.
Hier gibt es Verbindungen zu einer Bildung im kulturell-ästhetischen Sinne: Sie kann jungen Kindern zahlreiche Perspektiven eröffnen und ihnen vielfältige Möglichkeiten zeigen, die Umwelt mit allen Sinnen wahrzunehmen, sie zu entdecken, mitzugestalten und sich auszudrücken. Das Recht auf Berücksichtigung der eigenen Meinung schließt somit auch das Recht auf freien Ausdruck – «Expressionsfreiheit» (Netzwerk Kinderbetreuung Schweiz/Hochschule der Künste Bern HKB 2017; Kraus 2019, 2023) – mit ein. Basteln nach Vorlage und von Erwachsenen dominant geführte Aktivitäten könnten demnach genau genommen als Rechtsverletzung verstanden werden. Künstlerisch-ästhetische Handlungsweisen spielen so in der kulturellen Bildung eine zentrale Rolle. Da sie sowohl über sinnlich-leibliches Handeln und Erleben als auch über ein Erfahren und Berührtsein einen unmittelbaren Lebensweltbezug herstellen (vgl. Netzwerk FKB, o. A.), ermöglichen sie Beteiligung.
Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen kultureller Bildung und Partizipation formuliert Zirfas (2015) folgende drei Momente:
- die partizipativen Voraussetzungen für die kulturelle Bildung,
- Partizipationsmöglichkeiten, die in der kulturellen Bildung entstehen und
- Teilhabefähigkeiten, die durch die kulturelle Bildung gefördert werden.
In Anbetracht derart vielfältiger und umfassender Zusammenhänge wird deutlich, dass die frühe kulturelle Bildung kulturelle, soziale und gesellschaftliche Partizipation von Beginn an fördern kann. Sie ist eng verknüpft mit zentralen Anliegen einer zeitgemäßen Demokratiebildung und berührt Fragen von Inklusion, Meinungs- und Deutungsvielfalt, Umgang mit Diversität oder Nachhaltigkeit. In hoher Qualität umgesetzt, leistet frühe kulturelle Bildung einen konkreten und wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit und stärkt das Miteinander (vgl. Netzwerk FKB, o. A.). Eine Pädagogik des «Gehört- und Sichtbarwerdens» von jungen Kindern setzt somit einen Bildungsparadigmenwechsel voraus, dem folgende Leitsätze zugrunde liegen:
Artikel 3, UN-Kinderrechtskonvention – Kindeswohl
Kindeswohlprinzip bedeutet, dass bei allen Entscheidungen, die ein Kind betreffen, seinem Wohl eine vorrangige Berücksichtigung zugestanden werden muss. Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention schreibt dieses Recht fest und bietet dadurch einen zentralen Rahmen für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
Insbesondere vor dem Hintergrund eingangs erwähnter Abhängigkeit der Kinder von den Erwachsenen bildet das Kindeswohlprinzip einen bedeutenden Grundpfeiler der UN-Kinderrechtskonvention und gilt als eines ihrer vier Grundprinzipien. Kinder haben an vielen Stellen konstitutionell nicht die Möglichkeit, ihre Interessen selbst zu vertreten und sind auf die Bereitstellung von Unterstützung und Repräsentation ihrer Interessen durch erwachsene Menschen angewiesen (Wapler 2017, S. 7).
Im deutschen Sprachgebrauch wird «Kindeswohl» häufig vorrangig mit Schutzrechten assoziiert und im Kontext von Einzelfallhilfen verwendet (vgl. Wapler 2017, S. 13). Ein Blick in die englische Originalfassung des Artikels, in dem die Rede ist von «best interests of the child», also dem «besten Interesse des Kindes», macht die Bedeutung des Kindeswohles über Schutzrechte hinaus deutlich. Denn neben Schutz spielen Förderrechte und Beteiligungsrechte eine Rolle und erst im Zusammenspiel können wir von einer umfassenden Kindeswohlberücksichtigung sprechen. Gleichzeitig wird so auch deutlich, dass es beim Kindeswohlprinzip eben nicht (nur) um das individuelle Wohl eines Kindes geht, sondern dass Kinder als Gruppe und ihre entsprechenden Interessenslagen in den Blick genommen werden (Wapler 2017, S. 13).
Für die frühkindliche kulturelle Bildung bedeutet dies, dass Kindeswohl in allen Angebotsphasen durch alle beteiligten Personen Berücksichtigung finden muss.»