Wir meinen es gut und wollen für Kinder nur das Beste. Doch wie können wir wissen, was das für das einzelne Kind wirklich ist? Seien wir ehrlich: Kindliche Mitbestimmung hat oft nur einen pseudopartizipativen Charakter. Die kindlichen Entscheidungsspielräume sind meist eng gesetzt, und die Tragweite dieser Entscheidungen ist banal. Wenn wir aber gemeinsam mit Kindern Bildungslandschaften schaffen, die sie in ihren Fragen, Bedürfnissen und Interessen ernst nehmen und unterstützen, erleben wir höchst motivierte, selbstständige und fähige Kinder, die über sich hinauswachsen.
Fachpersonen
Es gibt so vieles zu entdecken! Lapurla gibt anhand konkreter Praxisbeispiele Anregungen und Impulse für Erwachsene. Zum Beispiel, wie mit Kleinkindern Kulturorte erforscht werden können oder wie veränderbares Material die Kreativität anregt und lustvolle Spiele entstehen.
Von den Jüngsten lernen
Wenn wir ganz junge Kinder beobachten, wie sie sich die Welt mit unbändigem Forscherdrang und Explorationswillen regelrecht einverleiben, fällt auf, dass sie alles mitbringen, was es für kreative Prozesse braucht:
- Mut, sich unvoreingenommen und staunend auf die Dinge einzulassen.
- Die Dinge bis aufs Letzte auszureizen, um zu verstehen, welche Eigenschaften ihnen innewohnen.
- Gegenstände und Materialien zweckentfremdet zu erproben. Dabei Neues zu entdecken, Zufälliges anzunehmen und sich über Unerwartetes oder Unbeabsichtigtes zu erfreuen und zu staunen.
- «Fertig» ist für ein Kleinkind etwas, wenn es nicht mehr spannend, will heissen ausgereizt ist. Zu erfahren, dass diese Welt selbstwirksam gestaltbar und veränderbar ist, stärkt das Selbstbewusstsein und macht kompetenter.
Haltung & Leitsätze
Bausteine eines Bildungsparadigmenwechsels
Die folgenden Leitsätze sind der Kern einer Erwachsenenhaltung im Sinne von Lapurla. Und sie sind konkrete Beispiele, wie die UN-Kinderrechte ab der Frühen Kindheit eingelöst werden können, so wie es Lapurla und das Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (DE) in einem gemeinsamen Positionspapier fordern. Kinder haben nicht nur das Recht auf kulturelle Bildung und Teilhabe, sondern auch das Recht auf Expressionsfreiheit.
Diese Leitsätze basieren auf den Prinzipien von Lapurla. Sie sind in der Praxis von Lapurla-Modellprojekten vielfältig erprobt und haben sich als zentrale ermöglichende Faktoren für selbstwirksame kreative Prozesse erwiesen:
«Es gibt zu viele Lehrräume und zu wenig Leerräume, in denen Kreatives entstehen kann.»
Johanna Ludwig, Musikvermittlerin Luzerner Sinfonieorchester
Wollen wir Kinder darin stärken, Selbstverantwortung zu übernehmen und ihre künftige Rolle in dieser Gesellschaft zu finden, brauchen sie Freiräume, um sich zu erproben und sich selbstwirksam zu erfahren. Wenn wir ihnen ständig vorgeben, was sie wann, wie, womit und wozu tun sollen, konditionieren wir sie quasi auf «Dienst nach Vorschrift». Kreativität aber braucht vielfältige zeitliche, räumliche und pädagogische Freiräume, um Lösungen auf Fragestellungen zu finden. Von- und miteinander lernen eröffnet unzählige Wege, Herausforderungen zu meistern.
Kreative Prozesse erfordern viel Zeit für Irr- und Umwege, weil sie selten linear ablaufen. Scheitern, verwerfen, es auf andere Weise versuchen, vielleicht wieder neu beginnen. Der Weg zum Ziel kann ganz schön anstrengend sein. Doch wie gross sind die Freude und das eigene Selbstwertgefühl, wenn Hindernisse überwunden und eigene oder gemeinsame Lösungen entwickelt wurden.
«Helfen macht hilflos», sagt die emigrierte Kreativitätsforscherin Daniela Braun. Statt anleitende, kontrollierende und bewertende Erwachsene sollen junge Menschen Mentor*innen zur Seite haben, die ihre Ideen und Themen ernst nehmen, ihnen offene Fragen stellen, unkonventionelle Überlegungen und Irrwege wertschätzen und nach Bedarf ermutigend zur Seite stehen. Gehen wir vom Potenzial eines Kindes aus statt von seinen Defiziten, erlebt es sich als zunehmend kompetenter.
Um es vorneweg zu nehmen: Damit ist nicht gemeint, dass nichts entstehen darf, sondern der Weg dahin ist das Ziel, und er ist offen. Damit kreative Prozesse in Gang kommen, reicht es, als Impuls nur einen Aspekt anzubieten: Entweder das Material (WOMIT), die Technik bzw. Methodik (WIE) oder das Thema (WAS). Alles andere ergibt sich im Prozess, die Ideen entstehen im Tun. In allen Varianten sind Kinder gefordert, eigene Lösungswege oder Ausdrucksweisen zu entwickeln. Die Ergebnisse werden somit keine stereotypen Resultate sein, sondern eine Vielfalt an individuellen Umsetzungen. Und wie inspirierend, wenn diese Vielfalt für alle seh-, hör- und erlebbar wird.
Der Grat zwischen Animieren und Inspirieren ist ein schmaler. Wichtig ist immer das Prinzip der Freiwilligkeit. Gibt es von aussen Impulse (bspw. durch Material, Raum, Infrastruktur oder Methodik), gelten diese als Option oder Angebot. Es gibt kein «So, jetzt machen wir alle ein …» mehr. Geführtes Vorzeigen und Nachmachen war gestern.
Je mehr wir vorgeben, umso mehr müssen wir erklären. Wenn wir aber selber eine neugierige Weltzuwendung vorleben, haben wir keine Rezepte, sondern machen uns mit Kindern ko-konstruktiv auf die Suche nach Spannendem. Das erfordert, dass sich auch Erwachsene selber forschend beteiligen, Neues ausprobieren und experimentieren. Zu erleben, dass auch Erwachsene nie ausgelernt haben, ermutigt. Und bezüglich unkonventioneller Strategien können Erwachsene viel von Kindern lernen.
Wenn sich Erwachsene gemeinsam mit Kindern immer wieder auf neues Terrain vorwagen, auf dem sie selber explorieren müssen, motivieren sie Kinder und Jugendliche für kreative Bewältigungsstrategien. Es gibt somit kein Richtig oder Falsch, sondern unzählige Möglichkeiten. Und es wird nie langweilig.
Um Kreativität als Problemlösungs- und Lebensgestaltungskompetenz (Braun) zu verinnerlichen, reicht es nicht, hin und wieder ein Projekt zu machen. Sondern es wird grundsätzlich projektartig gelernt. Kunstschaffende in Projekte einzubeziehen, bringt sowohl für Kinder als auch für die begleitenden Erwachsenen neue und ungewohnte Inspiration, wie auch künstlerisch gespielt werden kann. Durchlässige Strukturen und flexible Zeitgefässe sind die Voraussetzung dafür. Das Gleiche gilt für das Aufsuchen von Kulturorten: Erst wenn Kinder regelmässig die Möglichkeit haben, solche Orte zu entdecken und zu erforschen, können sie eine Beziehung zu diesen und den Menschen dort aufbauen. Kulturelle Teilhabe braucht Kontinuität, damit sie nachhaltig sein kann.
Gelingensbedingungen
Ko-konstruieren versus Anleiten
Ko-Konstruktion basiert auf sozialer Interaktion. Das bedeutet, dass Kinder und Erwachsene ihren Lebensraum gemeinsam und im Dialog neugierig entdecken und erforschen sowie gemeinsam deuten und interpretieren. Denn ein zu stark kuratiertes Vorgehen, mit dem vorher festgelegte Inhalte nach einem fixen (Lehr-)Plan oder Programm umgesetzt werden, riskiert, bei den Kindern nicht anschlussfähig zu sein und keine Lernwirkung zu entfalten. Von der Stärke ko-konstruktiver Prozesse sind wir überzeugt, da sie essenzielle Basis einer pädagogischen Grundhaltung für den von Lapurla geforderten Bildungsparadigmenwechsel sind.
Vom Eindruck zum Ausdruck: Ästhetische Erfahrung ist elementarste Bildungsform
Ästhetische Bildung ist mehr als einfache Sinneserfahrungen durch Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten usw. Der Begriff stammt aus dem Griechischen aisthesis und meint sinnliche Wahrnehmung, sinnliche Erkenntnis sowie sinnliches Empfinden von Wirklichkeiten. Das Verb aisthetikós macht noch deutlicher, wie ganzheitlich ästhetische Erfahrung zu verstehen ist: Sie umfasst das individuelle Wahrnehmen, Bemerken, Fühlen, Empfinden, Erkennen und Verstehen der Lebenswelt. Wahrnehmung, Emotion und Verstand sind somit als gleichwertige und wechselseitige Bildungserfahrung zu verstehen. Ein leib-seelisches Be-greifen und «In-Resonanz-Sein» eines Individuums mit der Welt im Hier und Jetzt. Wenn wir junge Kinder beobachten, wie sie sich die Welt regelrecht mit allen Sinnen einverleiben, können wir feststellen, dass frühkindliches Lernen hochgradig ästhetisch ist.
Selbstwirksamkeit
Eigene Erfolgserlebnisse durch das Meistern von Herausforderungen zu erfahren, ist der Kern der Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit gilt als Schlüssel für Resilienz. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten trägt viel dazu bei, Frust auszuhalten und Krisensituationen gut zu meistern. Ein Kind, das seine Selbstwirksamkeit regelmässig in kreativen Prozessen erfahren darf, lernt, an sich zu glauben, und wird motiviert, neue Herausforderungen anzunehmen. Dabei lernt es auch, dass es Einfluss nehmen kann, um diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Das fördert sein Selbstvertrauen und stärkt sein Selbstwertgefühl.
Impulse
Als wichtige Impulsgeber für frühkindliche ästhetische Erfahrungen, Selbstwirksamkeit und Ko-Konstruktion spielen Raum, Material und Beziehung eine zentrale Rolle. Sie sollen vielfältige Inspiration und Anregung bieten, damit Kinder und Erwachsene gemeinsam in kreative Prozesse und Flow eintauchen können.
«Neugier können wir nur entwickeln, wenn wir uns wohlfühlen. Gestresste Kinder lernen nicht und sie haben keinen Mut.»
Herbert Renz-Polster, Kinderarzt, 2019
Raum als erster Erzieher
Räume wirken auf uns, bewusst und unbewusst. Insbesondere kulturell bedeutsame Orte eröffnen mit ihrer besonderen Atmosphäre, ihren ungewöhnlichen Dimensionen, ihrer Akustik und ihren Gerüchen intensive sinnliche Wahrnehmungen und Emotionen. Das Potenzial für ästhetische Erfahrungen ist in Kulturräumen besonders hoch. Junge Kinder reagieren stark auf solche Räume. Sie brauchen Zeit, um mit ihnen vertraut zu werden. Dazu brauchen sie enge Bezugspersonen, die ihnen das Gefühl von Sicherheit und Bindung bieten.
Beziehung
Ko-Konstruktion ist für junge Kinder ein zentraler Schlüssel, um sich auf ungewohnte Orte, Räume, Dinge und Materialien einlassen zu können und mit ihnen in Beziehung zu treten. Das gemeinsame Entdecken und Deuten erfordert eine Vertrauensperson, die das Kind offen und aufmerksam in seiner Neugier begleitet. Ein Kind kann nur neugierig sein und neue Beziehungen zu seinem Umfeld knüpfen, wenn es sich sicher und geborgen fühlt.
Material
Wenn Kinder sich mit Materialien beschäftigen, werden alle Sinne angesprochen. Anschauen, Anfassen, Riechen, Schmecken und Horchen, wie Material klingt: All das regt die Kinder zu gestalterisch-künstlerischem Ausdruck an und fordert sie heraus, kreativ zu werden. Je jünger ein Kind, desto einfacher soll es sein, das angebotene Material zu erkunden und zu verändern.
Im Gegensatz zu Spielsachen und Mal- und Bastelvorlagen zeichnet sich ästhetisches Material durch folgende Eigenschaften aus:
- Es lädt zum Experimentieren ein.
- Es ist gestaltbar.
- Es ist veränderbar.
- Es spricht verschiedene Sinne an.
- Es ermöglicht Erfahrungen auf allen Ebenen (Hand–Herz–Kopf).
Die etwas andere Bezugsquelle für ästhetische Materialien:
OFFCUT – die Kreative Materialverwertung: Inspirierend, nachhaltig, preiswert!
OFFCUT sammelt und verkauft Gebraucht- und Restmaterialien und macht so aus Reststoffen wieder Werkstoffe. OFFCUT Materialmärkte gibt es in Basel, Zürich, Bern und Luzern.
NEU: Material-Abo für Kitas, Spielgruppen, Familienzentren, Tagesschulen usw. Das Material-Abo ist ein Ergebnis aus dem Abschlussprojekt «SamSoKo@OFFCUT.Bern» (2023) von Mirjana Lanzarone (Spielgruppenleiterin) im Rahmen des CAS Kulturelle Bildung. Wir freuen uns riesig, dass durch sie und das OFFCUT-Team Bern ein von Lapurla lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Hier erfährst du mehr über das spannende Kooperationsprojekt der Spielgruppe Pinguin mit OFFCUT Bern.
Publikationen
Broschüre «Kreativer von Anfang an»
Kinder sind neugierig. So erschliessen sie sich die Welt. Von Anfang an. Dazu brauchen sie uns als Türöffnerinnen und Mitstauner. Leichter gesagt als getan? Die Broschüre «Kreativer von Anfang an» gibt 6 Impulse für Eltern, Fachpersonen und Erwachsene, die gerne Zeit mit jungen Kindern verbringen.
Fokuspublikation «Ästhetische Bildung & Kulturelle Teilhabe – von Anfang an!»
Die theoretischen Grundlagen von Lapurla basieren auf dem Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz (2012) sowie der dazugehörenden Fokuspublikation «Ästhetische Bildung & Kulturelle Teilhabe – von Anfang an!» (2017). Lapurla erprobt deren Handlungsempfehlungen in der Praxis.
Arbeitshilfen
Hier finden die Beteiligten von Modellprojekten wichtige Arbeitshilfen zur transdisziplinären Verständigung sowie zur inter-institutionellen Zusammenarbeit. Diese dienen auch zur ko-konstruktiven Planung von Meilensteinen.
Für Projektleitende, Leitungspersonen und Involvierte
Die Leitlinien verdeutlichen die Werte und Ziele sowie die ihnen zugrunde liegende Haltung der Initiative Lapurla.
Für Projektleitende, Leitungspersonen und Involvierte
Ko-Konstruktion meint, dass Menschen, die unterschiedliche Perspektiven haben, gemeinsam etwas Neues schaffen und dabei die Erfahrungen, Kompetenzen und Rahmenbedingungen aller Beteiligten berücksichtigen.
Denkhilfe zur Planung, Kommunikation, Diskussion, Reflexion und Evaluation
Diese Visualisierung der drei Wirkungsebenen von Lapurla Modell-Projekten erleichtert die interne und externe Kommunikation. Sie dient zur Schärfung von Zielen und Zielgruppen, Klärung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten usw.
Für Projetkleitende und ihre Vorgesetzten
Sie dient der Verständigung aller Beteiligten über das gemeinsame Vorhaben und soll genügend Freiraum für die flexible Anpassung an die Projektentwicklung ermöglichen. Darum soll in erster Linie beschrieben werden, WIE die gemeinsamen Ziele aussehen und erreicht werden sollen, statt WAS genau inhaltlich geschehen wird.
Für Projektleitende
Die Dokumentation von Prozessen ist ein wichtiges Herzstück von Lapurla Modell-Projekten. Sie soll magische Flow-Momente der Kinder mit Bild und Ton einfangen, Stimmen und Feedbacks von Beteiligten sammeln sowie Erfahrungen und Erkenntnisse festhalten. Ziel: Das sicht- und nachvollziehbarmachen von dem, was Lapurla anstösst, stattfinden lässt und auswirkt.
Für Projektleitende, Fotograf*innen und Filmer*innen
Das Veröffentlichen von Bildmaterial von Kindern obliegt strengen Datenschutzbestimmungen. Es dürfen folglich nur Fotos und Filme von Kindern verwendet werden, wenn deren Eltern oder Vormund dies mit Unterschrift genehmigt hat!
Das Merkblatt enthält Tipps zur Ansprache der Erziehungsberechtigten sowie formale Angaben für die Fotograf*innen und Filmer*innen.
Merkblatt Fotobriefing/Bildrechte PDF (gültig ab Februar 2022)
Formular Zustimmungerklärung Erziehungsberechtigte PDF (gültig ab Februar 2022)
Formular Zustimmungerklärung Mitarbeitende PDF (gültig ab Februar 2022)
Für Projektleitende und Beteiligte
Das eigene Tun und Handeln zu reflektieren ist eine wichtige Kernaufgabe von Projektleitenden und Projektbeteiligten. Denn gemäss Grundhaltung und Zielen von Lapurla geht es darum, aus Erfahrung zu lernen.
Das Merkblatt hält fest, was Reflexion ist bzw. nicht ist. Es formuliert Ziele von Reflexion und bietet Leitfragen für den Reflexionsprozess.
Weiterbildung
Du willst dich lapurlamässig professionalisieren und deine Expertise mit einem Hochschulzertifikat ausweisen können? Der CAS Kulturelle Bildung an der Hochschule der Künste Bern macht’s möglich – schau rein!