7 Forderungen aus dem Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (2022)

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist LapurlaPublikationenNFKB.png

Berlin, 26. Juli 2022

Hintergrund

Die Bedeutung der ersten Lebensjahre für die Entwicklung eines Menschen sind vielfach
belegt. In der frühen Kindheit werden die Grundsteine für Bildungsbiografien und die
Teilhabe an verschiedenen gesellschaftlichen Angeboten gelegt. Die kulturelle Bildung
ist dabei von besonderer Bedeutung. Gemeinsames Singen, Wörter und Sprache erobern,
den Körper im Tanz erfahren, eigene Trickfilme gestalten, Spiele erfinden, ästhetisch
forschen – all das und vieles mehr eröffnet Kindern in dieser Entwicklungsphase die
Möglichkeit, in einer von vielfältigen ästhetischen Einflüssen und Impulsen geprägten
Umwelt differenziert und altersgerecht ihre Wahrnehmungsfähigkeit zu schulen und
vielfältige Ausdrucksformen zu erproben.


Die Förderung von Wahrnehmung und Gestaltung von Anfang an ist demnach unerlässlich
für die Zukunftschancen von Kindern. Das Recht von Kindern auf bestmögliche Bildung
und Förderung sowie auf Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben ist mit
guten Gründen in der UN-Kinderrechtskonvention (Artikel 31 Absatz 2 KRK) sowie im
Zwölften und Achten Sozialgesetzbuch (34 SGB XII und §11 Absatz 3 SGB VIII) festgeschrieben.
Freiräume für spielerische, ästhetisch orientierte Bildung für alle Kinder sind in der frühen
Kindheit ebenso wichtig wie die Förderung des kognitionsorientierten Lernens und des
Spracherwerbs.



Herausforderungen

Doch inwieweit Kinder kulturelle Bildungserfahrungen sammeln können, ist abhängig
vom Einkommen und formalen Bildungsstatus der Eltern sowie von den individuellen
Bedarfen und unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder. Kulturelle Teilhabe ist
zugleich dadurch geprägt, an welchem Ort Kinder leben, welche Infrastruktur – vor allem
hinsichtlich Bildung, Kultur und Mobilität – vor Ort besteht und inwiefern Konzepte für
Integration, Inklusion und Beteiligung existieren.


Weitere entscheidende Faktoren sind, inwieweit Kindertageseinrichtungen kulturelle
Bildung in ihrem Angebot verankern, inwiefern lokale Träger der Kultur-, Bildungs- und
Jugendarbeit explizit kulturelle Bildungsangebote für junge Kinder und ihre Familien
unterbreiten und in welchem Umfang Expertise für frühe kulturelle Bildung und Vernetzungsstrukturen
vorhanden ist. So entsteht eine Pfadabhängigkeit von Bildungsbiografien,
die dem Kinderrecht auf kulturelle Teilhabe zuwiderläuft.


Forderungen

  1. Junge Kinder als eigenständige Zielgruppe kultureller Bildung adressieren
    Alle Einrichtungen für Kinder müssen kulturelle Bildung in ihre Alltagspraxis einbinden,
    alle Kulturinstitutionen und Einrichtungen der Kulturellen Bildung wiederum müssen
    Angebote für junge Kinder schaffen und bereithalten. Kommunen und Ländern kommt
    dabei eine wichtige, motivierende und ermöglichende Rolle zu. In ihren Förderstrategien
    sollten sie die Bedeutung der kulturellen Bildung für die Lebensphase frühe Kindheit
    explizit ausweisen, dabei Konzepte der Elternansprache und -arbeit berücksichtigen und
    entsprechende Anreize setzen. Träger und Verbände müssen dies kommunikativ und
    fachlich flankieren.

    
  2. Kulturelle Bildung in Bildungspläten für KiTas weiterentwickeln und umsetzen
    Obwohl die kulturelle Bildung in allen Bundesländern explizit oder implizit gesetzlich
    verankert ist, fehlt es in den Bildungsplänen für KiTas bezüglich kultureller Bildung nach
    wie vor an Verbindlichkeit und vielfach auch an Maßnahmen zur verlässlichen Umsetzung
    und Qualitätssicherung. Gleichzeitig bietet das Gute-KiTa-Gesetz, welches zur nach-
    haltigen Stärkung der Aufenthalts-, Erlebnis- und Bildungsqualität von KiTas eingeführt
    wurde, zahlreiche Anknüpfungspunkte für ästhetische Praxis in der frühen Kindheit, etwa
    in den Handlungsfeldern „Kindgerechte Räume“, „Qualifizierte Fachkräfte“, „Sprachliche
    Bildung“ und „Netzwerke für mehr Qualität“.
    Länder und Kommunen sind gefordert, einerseits die bestehenden Bildungspläne mit
    Blick auf frühe kulturelle Teilhabe weiterzuentwickeln und andererseits die verbindliche
    Umsetzung kultureller Bildung zu gewährleisten. KiTa-Leitungen und Träger haben
    die Aufgabe, zeitliche, inhaltliche und organisatorische Räume für kulturelle Bildung
    und ästhetische Praxis zu schaffen.

    
  3. Die Infrastruktur für frühe kulturelle Bildung flächendeckend ausbauen
    Damit flächendeckend Angebote der frühen kulturellen Bildung dauerhaft vorgehalten
    werden können, sind bundesweit Strukturen erforderlich. Kultureinrichtungen sowie
    Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit müssen sowohl im Sozialraum der Kinder
    vorhanden und erreichbar als auch entsprechend strukturiert und finanziert sein.
    Länder und Kommunen, die gemäß ihrer kultur- und bildungspolitischen Zuständigkeit
    für die kulturelle Daseinsvorsorge Verantwortung tragen, sind hier besonders gefordert.
    Zusätzlich ist ein dauerhaftes Engagement des Bundes für kulturelle Bildung notwendig.
    Beispielsweise müssen bestehende Förderprogramme fortgeführt, für die frühkindliche
    Bildung ausgebaut und entsprechend langfristig angelegt werden. Auch muss der
    Bund seine Zusage, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, auch im Bereich
    der kulturellen Teilhabe durch eine Entlastung und Unterstützung strukturschwacher
    Städte und Gemeinden einhalten.

    Zusätzlich ist der Aspekt der frühen kulturellen Bildung in der regelmäßigen Bildungsberichterstattung (auf Ebene Kommune, Länder und Bund) zu ergänzen, damit Bedarfe und Umsetzungslücken identifiziert werden und man darauf reagieren kann.

    
  4. Orte früher kultureller Bildung gestalten und fördern
    Damit Kultur- und Bildungseinrichtungen Räume für qualitativ geeignete und barrierearme Angebote früher kultureller Bildung bundesweit schaffen, ausbauen und dauerhaft bereitstellen können, sind langfristige Investitionen in die kulturelle Infrastruktur notwendig – in Einrichtungen, Räume, Sachkosten und qualifiziertes Personal. Gerade in kommunalen Bildungslandschaften sollte frühe kulturelle Bildung schwerpunktmäßig gefördert und selbstverständlich in die kommunalen Angebotsstrukturen frühkindlicher Bildung integriert werden. Insbesondere kulturpolitische Entscheidungen müssen dem Bildungs- und Vermittlungsauftrag von Kulturinstitutionen auf die gesamte Lebensspanne bezogen gerecht werden und sollten deren Teilhabequalität für die Jüngsten noch stärker in den Blick nehmen. Hierzu sollten Einrichtungen der frühen Bildung und Betreuung, Kultureinrichtungen und freie Akteur:innen der kulturellen Bildung gezielt miteinander vernetzt werden. Zudem muss in die Qualität des Angebots sowie in die Qualifizierung der Beteiligten investiert werden.

    
  5. Kooperationen von Einrichtungen der frühen Bildung und Kulturinstitutionen fördern
    Für eine nachhaltige Vernetzung und Zusammenarbeit müssen seitens der Kommunen und Länder ausreichend Ressourcen für alle beteiligten Partner bereitgestellt werden. Darüber hinaus bedarf es auf kommunaler Ebene Koordinierungsstellen und unterstützender Strukturen mit Personal, die den Austausch und die Zusammenarbeit der Bildungsund Kulturakteur:innen auch ressortübergreifend anregen, begleiten und zwischen den Bereichen Pädagogik/Bildung und Kunst/Kultur gewinnbringend vermitteln.
    Für eine gelingende Zusammenarbeit der beteiligten Partner bedarf es eines klaren Bildungs- und Kooperationsauftrags und Strukturen, die dies auf Basis verlässlicher und krisenfester Vereinbarungen gewährleisten. Hierfür braucht es Plattformen zum Austausch und zur Qualifizierung der Mittler:innen, so, wie es in einigen Modellen zum Kooperationsmanagement für die Kulturelle Bildung bereits umgesetzt wird. Zusätzlich müssen kommunale Planer:innen das Potenzial der beteiligten non-formalen Bildungspartner aktiv einbeziehen und deren Expertise zur qualitativen Stärkung des Angebots nutzen.

    
  6. Fachkräfte für die frühe kulturelle Bildung qualifizieren und angemessen entlohnen
    Da in den KiTas ein Großteil der in Deutschland lebenden Kinder erreicht wird, muss gerade dort in Bildungsqualität und damit auch in pädagogische Fachkräfte investiert werden. Kulturelle Bildung sollte in deren Ausbildung sowie Weiterbildungsangeboten durch eine fundierte Qualifizierung in Kulturarbeit sowie Zusammenarbeit mit kulturellen Bildungspartner:innen verankert sein. Eine bessere Entlohnung steigert die Attraktivität des Erzieherberufs. Auch das stärkt – langfristig betrachtet – die Bildungsqualität in KiTas.
    Darüber hinaus müssen freiberufliche und angestellte künstlerisch-pädagogische Fachkräfte in Kultur-, Jugend- und Bildungseinrichtungen stärker als wichtige Akteur:innen der frühkindlichen Bildung berücksichtigt werden. Im Sinne multiprofessionell gestalteter, diversitätssensibler Bildungsangebote müssen Kulturpädagog:innen, Kulturvermittler:innen und Künstler:innen aktiv in die Zusammenarbeit mit KiTas einbezogen werden. Für die Kooperationen benötigt es einen hinreichend großen finanziellen Spielraum.

    
  7. Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis früher kultureller Bildung verankern
    Damit Angebote kultureller Bildung altersgerecht entwickelt und praktisch umgesetzt werden, braucht es eine konsequentere Berücksichtigung dieses Handlungsfeldes in der Bildungswissenschaft und verwandten Disziplinen, die für den Wissenstransfer in die Professionen der frühkindlichen Bildung genutzt werden können.
    

Notwendige Rahmenbedingungen

Damit alle Kinder – ihren Rechten und Entwicklungsaufgaben entsprechend – wirksame
kulturelle und ästhetische Bildungserfahrungen sammeln können, sind die folgenden
Voraussetzungen unerlässlich:
• Kinder müssen von Beginn an und über ihre gesamte Kindheit hinweg kontinuierlich
an einem vielfältigen kulturellen Bildungsangebot teilhaben können.
• Frühe kulturelle Bildung muss flächendeckend, zuverlässig und kostengünstig
zugänglich sein.
• Kulturelle Bildung muss an allen zentralen Orten des Aufwachsens verankert sein.
• Dafür braucht es besondere Räume und Orte mit ästhetischem Anregungspotenzial.
• Die verschiedenen Akteur:innen der frühen Bildung müssen kooperieren und
sich vernetzen.
• Die Qualität der Angebote muss gesichert sein – sowohl im Hinblick auf kindheitspädagogische,
als auch auf ästhetisch-kulturelle Aspekte. Dafür sind entsprechend
qualifizierte Fachkräfte von großer Bedeutung.

Forderungen aus dem Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung (D)