«Wir sind uns oft zu wenig bewusst, dass die allerersten Eindrücke der Kinder sinnliche sind.»

Interview mit Thomas Jaun, Vorstandsmitglied von Alliance Enfance, Schulleiter HF Kindheitspädagogik – ARTISET Bildung und Stiftungsratspräsident von Lapurla. 

In loser Reihe stellen wir euch die Stiftungsrät:innen von Lapurla in Form eines Interviews vor und gewähren so Einblick in deren Motivation und Bezug zu Lapurla. Den Anfang macht Thomas Jaun. Viel Vergnügen beim Lesen! 

Welches kulturelle Erlebnis deiner Kindheit ist dir in Erinnerung geblieben?
Eine frühe Erinnerung führt ins Berner Stadttheater, zum «tapferen Schneiderlein», das als Weihnachtsmärchen auf dem Programm gestanden ist. Die Furcht beim Kampf der beiden bedrohlichen und lauten Riesen und der Wunsch dabei, sich unter den Sitz zu verkriechen, sind mir lebendig geblieben. Prägend war etwas später die Gitarre, die unter dem Weihnachtsbaum lag, zusammen mit dem ersten Liederbuch von Mani Matter, der mich wie viele musik- und sprachafine Berner bis heute begleitet.

Welches Potential hat Kunst für die Frühe Kindheit?
Ich würde gar nicht von Kunst alleine sprechen, sondern von Meister:innenschaft, um dieses scheinbar verstaubte Wort zu gebrauchen. Menschen, die in ihrem Tun, in ihrer Passion oder ihrem Engagement Perspektiven öffnen, Horizonte erweitern, anregen und begeistern können sind wichtig für Kinder. Sie zeigen, was möglich ist, sie können das eigene Tun der Kinder anregen und sie ermuntern, eigene Grenzen nicht zu eng zu sehen und zu setzen.

Du bist Begleiter der Anliegen von Lapurla der ersten Stunde. Was ist deine Motivation in deiner neuen Rolle als Stiftungsratsmitglied?
Wir sind uns oft zu wenig bewusst, dass die allerersten Eindrücke der Kinder sinnliche sind und dass sich daraus schon früh ästhetisches Empfinden entwickelt, welches auch die Interessen der Kinder in ihrer Entwicklung leitet. Ich habe mich darum als Mitglied der Projektgruppe des Orientierungsrahmens für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung sehr gefreut, dass im Rahmen dieses Projektes eine Fokuspublikation zu ästhetischer Bildung entstanden ist. Sie hat eine wichtige Lücke gefüllt. Ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe gehören selbstredend zu einem ganzheitlichen Entwicklungsverständnis dazu. Das ist aber oft noch nicht selbstverständlich. Darum ist Lapurla nötig und ich freue mich, wenn ich das eine oder andere zum Erfolg beitragen kann.

Was verbindet deine berufliche Funktionen und Rollen als Vorstandsmitglied von Alliance Enfance und Schulleiter HF Kindheitspädagogik – ARTISET Bildung mit den Anliegen von Lapurla?
Es geht immer ums Gleiche, mit unterschiedlichen Mitteln. Im Zentrum steht die Frage, wie Menschen in ihren ersten Jahren in der Welt ankommen, ihren Platz finden und zu kompetenten, selbstbewussten und selbstverantwortlichen Menschen werden. Oder anders gesagt: Es geht um Menschenbildung. Auch wenn Kindern, zumindest medial, heute mehr Aufmerksamkeit zukommt, als noch vor zwanzig Jahren, schaffen wir es bis heute nicht, allen Kindern ein entwicklungs- und chancengerechtes Umfeld zu ermöglichen. Es braucht darum Engagement, in der Ausbildung, in der Politik oder in Fachorganisationen, die sich – mit unterschiedlichen Perspektiven und Wegen – dafür stark machen.

Was möchtest du beitragen zu den Anliegen von Lapurla?
Konkret kann ich es gar nicht sagen. Am ehesten sehe ich mich weiterhin als Netzwerker, der die Stimme von Lapurla in andere Teile des Netzwerks tragen kann und die Stimmen aus dem Netzwerk in Lapurla hinein.

Welches Potential hat Lapurla in Bezug auf gesellschaftliche Themen?
Wenn Lapurla einen Beitrag dafür leisten kann, das Verständnis zu fördern, wie Kinder die Welt entdecken, wie sie lernen und sich entwickeln und welches Umfeld und welche Anregungen dafür eigentlich geboten werden müssten, dann wäre mir das genug. Hier hat Lapurla aus meiner Sicht eine grosse Chance, weil es wenig Entwicklungsbereiche gibt in denen so anschaulich und verständlich gemacht werden kann, dass Kinder durch ihre Neugierde zum Entdecken und Lernen angespornt werden, wie in der ästhetischen Bildung. 

Welche besonderen Herausforderungen stellen sich Lapurla?
Damit Lapurla nicht eine Initiative unter vielen wird, die ein «special interest» an Personen und Institutionen heranträgt, die sich mit kleinen Kindern beschäftigen, braucht es aus meiner Sicht zwei Voraussetzungen. Zum einen darf Lapurla nicht erzieherisch werden. Es kann nicht darum gehen, das Land, wie wir es öfters bei anderen Themen erleben, mit Programmen und Labeln zu überziehen. Die hohe Kunst wird es sein, die Neugierde der Erwachsenen zu wecken, sie zu animieren, ihre eigenen Erfahrungen für sich und mit den Kindern zu machen. Nur wer selbst erlickt, was ästhetische Bildung bieten und bedeuten kann, wird deren Wegbereiter:in sein.

Zum zweiten ist es zwar wichtig ein Bewusstsein für ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe zu fördern, aber Entwicklung muss für mich immer ganzheitlich gedacht werden. Das heisst, man muss sich auch der Frage stellen, was ästhetische Bildung mit motorischer, emotionaler und vor allem auch kognitiver Entwicklung der Kinder zu tun hat und Verbindungen dazu suchen.

Neben diesen fachlich-inhaltlichen Herausforderungen gibt es vor allem auch die ganz pragmatische: Wie kann sich Lapurla mittlefristig verbreiten und finanzieren.

Was wünschst du dir für Lapurla?
Wenn es gelingt, die vorher beschriebenen Herausforderungen zu meistern, sind meine Wünsche mehr als erfüllt. Ein ganz zentraler Hebel ist für mich dabei, dass es gelingt, in einem ökonomiegeleiteten Umfeld, die Bedeutung von Kultur und der Teilhabe daran zu verstärken und zwar von Anfang an und für alle.

Vielen Dank für das Interview!
16.05.2023