«Ich sehe mich als Botschafterin für die Anliegen der kulturellen Teilhabe im frühkindlichen Bereich und damit für eine gerechtere Möglichkeit, kulturelles Kapital zu erwerben.»
Interview mit Iris Weder, Vorstandsmitglied von Kulturvermittlung Schweiz KVS, Leiterin der Abteilung Kultur Stadt Zug und Stiftungsrätin von Lapurla
Wir stellen euch alle drei Stiftungsrät:innen von Lapurla in Form eines Interviews vor und gewähren so Einblick in deren Motivation und Bezug zu Lapurla. Den Abschluss macht Iris Weder. Viel Vergnügen beim Lesen!
Welches kulturelle Erlebnis deiner Kindheit ist dir in Erinnerung geblieben?
Es gibt unzählige Erinnerungen. Zum Beispiel erinnere mich an die Ruhe in meinem Kinderzimmer, den Geruch von Neocolor, Wasser-, Acryl-, oder Ölfarben, an Leim und Pinselreiniger. Der Boden und mein Tisch waren voll mit weissem und farbigem Papier, Krepp- und Kalkpapier, hartem grauen und weichem braunbeigen Karton. Ich schnitt, riss und trug mit dicken und dünnen Pinselstrichen Farben auf. Das waren komplett unbeschwerte Momente, Stunden, in denen ich experimentierte, Farben, Formen und Techniken kombinierte, mein ästhetisches Empfinden erforschte und immer wieder von Neuem Kreationen und Geschichten erfand. Alle meine Sinne waren vollkommen wach und im Hier und Jetzt fokussiert.
Eine weitere Erinnerung ist der Ballettbesuch von Coppelia im Stadttheater Luzern, wo ich so unter dem Bann des Geschehens stand, dass ich mir wünschte, dass die getanzte Geschichte nie mehr aufhören würde.
Was ist deiner Ansicht nach der zentrale Aspekt bei der Verbindung von Früher Kindheit und Ästhetischer Bildung und Kultureller Teilhabe?
Dieser Frage bin ich mit der Theaterpädagogin Carole Berendts in unserer Masterarbeit «Kulturelle Teilhabe bedingt Kulturvermittlung für alle» vertieft nachgegangen. Zusammenfassend kann ich erläutern, dass das Spektrum der Kulturellen Teilhabe sich sowohl aus rezeptiven Elementen wie Betrachten oder Lernen als auch aus partizipativen Elementen wie Interagieren, Mitwirken, Mitbestimmen, Ko-kreieren und Handeln zusammensetzt. Diese verschiedenen Ebenen sind ergänzend und tragen zum Wechselspiel und zur aktiven Auseinandersetzung mit ästhetischen Erfahrungen bei.
Ästhetische Erlebnisse führen zu einer Erweiterung des Horizontes – sei es im haptischen, gestalterischen, performativen oder intellektuellen Sinne. Dabei spielt das Alter, die Herkunft, das Geschlecht oder die Sozialisation des einzelnen Menschen keine Rolle. (1)
Durch sinnliche Erlebnisse und die Möglichkeit, selbst zu gestalten, wird der bereits im frühkindlichen Alter ausgeprägte Gestaltungswille gestärkt. Dieses Verweilen im Moment durch das kreative Tun erlaubt sinnliche Erfahrungen und diese wiederum stärken das Selbstwertgefühl.
Deshalb verstehe ich die kulturelle Teilhabe als ein kreativer Raum, der Kindern schon im frühkindlichen Alter ermöglicht, in ihr tiefstes Inneres vorzudringen und gleichzeitig eine Verbindung zur Umwelt und zu sich selbst herzustellen.
Um welchen Aspekt bereichert die Perspektive der Frühen Kindheit die Kunst?
Kreationsprozesse der Kunstschaffenden sind sehr nahe beim kindlichen Spiel.
Kinder experimentieren, kombinieren, reagieren und interagieren mit intrinsischer Neugier. Daher bin ich überzeugt, dass kreativitätsfördernde Kulturvermittlungsangebote Menschen unabhängig von ihrem Alter begeistern können. Diese Angebote basieren auf einem Austausch auf Augenhöhe zwischen den Kulturschaffenden und dem Publikum. Eine solche kreative Auseinandersetzung ist für alle Beteiligten bereichernd. Dabei ist interessant zu beobachten, wie sich Erwachsene im Beisein der Kleinsten ohne Hemmungen auf diesen interaktiven künstlerischen Dialog einlassen können und sich der zeitgenössischen Kunst ohne Vorbehalte nähern.
Du bist Begleiterin der Anliegen von Lapurla der ersten Stunde. Was ist deine Motivation in deiner neuen Rolle als Stiftungsratsmitglied?
Ich sehe mich als Botschafterin für die Anliegen der kulturellen Teilhabe im frühkindlichen Bereich und damit für eine gerechtere Möglichkeit, kulturelles Kapital zu erwerben. Gemäss der Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu beeinflusst das kulturelle Kapital ab Geburt massgeblich die Zukunftsaussichten eines jeden Individuums. Kreativität und die intrinsische Motivation, lebenslang zu lernen, gewinnen in unserer sich wandelnden Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Mit kreativen Angeboten im frühkindlichen Bereich legen wir das Fundament dafür.
Meine Erfahrungen beim Aufbau eines solchen Kreativraums für diese Zielgruppe und die vielen strahlenden Augen von Gross und Klein, die ich dabei gesehen habe, motivieren mich, Lapurlas Vision in meinen Netzwerken weiterzutragen und Lapurla mit meinem Know-how zu unterstützen.
Was verbindet deine beruflichen Funktionen und Rollen als Vorstandsmitglied der Kulturvermittlung Schweiz und Leiterin der Abteilung Kultur Stadt Zug mit den Anliegen von Lapurla?
Schon seit langem liegt mir die Förderung der «kulturellen Teilhabe für alle», insbesondere ab der frühen Kindheit, am Herzen. In meiner Rolle als Leiterin der Abteilung für Kultur der Stadt Zug hatte ich die Gelegenheit, eine neue Kulturstrategie mitzuverantworten. Damit konnten Rahmenbedingungen für eine möglichst Inklusive Kulturförderung geschaffen werden. Ein Aktionsfeld ist spezifisch der kulturellen Teilhabe gewidmet. Darin sind konkrete Massnahmen zur Stärkung der kulturellen Bildung, insbesondere auch im Frühbereich, für nachhaltige Projekte von Kulturschaffende in Kitas festgelegt.
Zusätzlich setzte ich mich in meiner Position als Co-Präsidentin von Kulturvermittlung Schweiz für die Sensibilisierung hinsichtlich der Vermittlung im frühkindlichen Bereich ein. Dies tue ich auch in meiner Arbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Städtekonferenz Kultur SKK, wo ich Vermittlungsthemen vorantreibe. Realität ist, dass die Kulturvermittlung oft erst mit dem Eintritt in die Schule gefördert wird und für Projekte im frühkindlichen Bereich nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Daher hoffe ich, dass meine Lobbyarbeit einen positiven Einfluss auf diese Situation hat.
Welches Potential hat Kunst für die Frühe Kindheit?
In einem wertfreien Raum experimentieren, gestalten und staunen können, dies ist wegweisend fürs ganze Leben. Solche gemeinsamen sinnliche Erlebnisse, bei denen ein co-kreativer Austausch zwischen Eltern oder anderen erwachsenen Begleitpersonen stattfindet, festigen zudem die Beziehung zwischen den Generationen und fördern das Vertrauen in die Umwelt. Dabei werden die Wahrnehmungsfähigkeit sowie die Kreativitäts- und Lösungskompetenz der Kinder verbessert, was die Resilienz erhöht.
Welches Potential hat Lapurla in Bezug auf gesellschaftliche Themen?
Die kulturelle Teilhabe, die vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Lebensende im Kontext des lebenslangen Lernens stattfindet, sollte überall verankert sein. Das schliesst Kitas, Spielgruppen, Familien, Freizeitaktivitäten, Bildungseinrichtungen sowie sozio-kulturelle Institutionen und Altersheime mit ein.
Für das Netzwerk Lapurla bedeutet dies, dass die kontinuierliche Pflege nachhaltiger Partnerschaften mit den verschiedenen Akteuren im frühkindlichen Bereich in der ganzen Schweiz dazu beitragen wird, die Anliegen der ästhetischen frühkindlichen Bildung stärker ins Bewusstsein zu rücken. Gleichzeitig werden sich weitere innovative und kreative Angebote entwickeln, die die Nachfrage und die positive Wirkung in den Regionen steigern werden. Auf diese Weise wird der Dialog noch breitere Kreise erreichen und das Potenzial haben, längerfristig auch in Bildungskonzepte integriert zu werden.
Was wünschst du dir für Lapurla?
Ich wünsche mir, dass die Vision und die Werte, für die Lapurla steht, sich über die Netzwerke möglichst weit verbreiten und für möglichst viele Familien in allen Regionen der Schweiz Realität werden. Daher hoffe ich, dass es Lapurla gelingt, die Rahmenbedingungen für die kulturelle Teilhabe von Kindern und ihren Begleitpersonen noch stärker in den Fokus zu rücken und dass die erforderlichen geeigneten räumlichen, zeitlichen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden, um die professionelle künstlerische Vermittlung in Kitas und Spielgruppen zu ermöglichen.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es Kulturschaffende, Betreuende und Erziehende die sich für diese Zielgruppe einsetzen sowie möglichst viele «kreative» Politiker:innen, die die Dringlichkeit der ästhetischen Bildung in der frühkindlichen Entwicklung erkennen und aktiv dazu beitragen, die Strukturen unserer Umwelt auch auf die Bedürfnisse der Allerkleinsten anzupassen. Es ist essentiell, bereits im frühen Kindesalter die kulturelle Teilhabe zu berücksichtigt, damit der chancengerechte Zugang zum kreativen Freiraum für die Allerkleinsten als selbstverständlich angesehen wird.
Besten Dank für das Interview!
13.10.2023