«Ich versuche, Vorurteile zu widerlegen»

Aus dem Netzwerk: Nicole Rocchetti im Interview

Nicole Rocchetti ist Co-Leiterin/ Pädagogische-Leitung im FiZ Familienzentrum in Wetzikon und schloss diesen Juni den CAS Kulturelle Bildung ab. Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit stellte sie in Zusammenarbeit mit dem Kunstlokalfestival eine mehrteilige Workshop-Serie im Zürcher Oberland auf die Beine. In der Lapurla-Rubrik «Aus dem Netzwerk» erfahren wir mehr über die Lapurla-Netzwerkerin, ihr Projekt und ihre Motivation.

Nicole Rocchetti a donné aux enfants la possibilité d'exprimer leur curiosité dans le cadre de son travail de fin d'études. Des photos : Nicole Rocchetti
Nicole Rocchetti a donné aux enfants la possibilité d’exprimer leur curiosité dans le cadre de son travail de fin d’études. Des photos : Nicole Rocchetti

Was sehen wir auf diesen Fotos?
Die Bilder geben Einblick in den Alltag des FiZ Familienzentrums. Beim Kreativ-Treff, den ich zwei Mal in der Woche bei uns im Familienzentrum durchführe, stelle ich Raum und diverse ästhetische Materialien zu Verfügung. Es sind jeweils sehr bereichernde Momente, bei denen ich sowohl auf die Bedürfnisse der Kinder eingehe und zusammen mit ihnen experimentiere, staune und auch mal nach neuen Lösungen suche. Es geht auch darum, die Eltern in die Geschehnisse zu integrieren und sie zu sensibilisieren, wie sie zusammen mit ihren Kindern auf einfache und wertschätzende Art kreativ werden können. Wichtig ist mir, dass auch die ganz kleinen Kinder an den Geschehnissen teilnehmen können und so wird oft auf dem Boden gearbeitet, so dass die Kleinen die Materialien berühren und erkunden können, beobachten und zuhören, was die grösseren Kinder um sie herum alles machen.

Was haben sie aus der Abschlussarbeit gelernt, was sie auf ihren Weg mitnehmen?
Die Erkenntnis, dass durch das konstante Anbieten derselben Materialien das Projekt wachsen kann und die Kinder herausgefordert werden, nach neuen Lösungen und Umgangsformen zu suchen. Wenn die Kinder dann nachhause gingen, haben sie oft weitergetüftelt und gemeinsam mit den Erziehenden neue Ideen verfolgt.
Persönlich habe ich mitgenommen, noch aufmerksamer und bewusster mit den Kindern zu arbeiten. Den Ideen, die ich zu neuen Projekte habe, lasse ich Zeit, um zu reifen und führe diese sehr viel bedachter durch und gestehe mir auch selbst ein, dass nicht alle Ideen eins zu eins durchgeführt werden müssen. Weniger ist mehr und bedeutet nicht weniger Qualität. Das ist wohl einer meiner grössten Erkenntnisse, die ich in der Weiterbildung mitnehme. Dieses Mindset bringt Ruhe und Gelassenheit in den Alltag und ermöglicht dadurch mehr freie Aufmerksamkeit.

Wieso ist es dir wichtig, in deinen Projekten kreative Freiräume zu schaffen?
Oft wird kreatives Arbeiten mit Unordnung, Aufwand und Stress verbunden. Dies sind Vorurteile der Erzieherinnen, die ich versuche zu widerlegen. Dabei stosse ich oft auf erstaunte Gesichter, wenn ich zeige, mit wie wenig Aufwand man wunderbare Räume schaffen kann und dies nichts mit Stress zu tun hat. Es ist mir ein grosses Anliegen, zu sensibilisieren, dass kreatives Arbeiten und die Kompetenzen, die man damit erlangt, für die Zukunft äusserst wichtig und unabdingbar sind!

Kreative Freiräume sind nicht nur für Kleinkinder wichtig, auch bei Erwachsenen kommen sie oft zu kurz. Wie kreierst du Lapurla-Momente in deinem privaten Alltag?
Schon während der Weiterbildung habe ich gespürt, wie wichtig solche Flow-Momente sind und wie gut sie tun. Wenn ich nur schon daran denke, verspüre ich Glücksgefühle, also etwas sehr Nachhaltiges! Ich habe mir zum Ziel gesetzt, solche Momente weiterhin in meinem Leben zu haben.
Zeit ist das Wichtigste, also habe ich mir als erstes mehr Zeit geschaffen, indem ich eine meiner Stellen als Coiffeuse gekündigt habe. In der gewonnenen Zeit gehe ich oft lange spazieren, lass mich von meiner Lust leiten, sammle Gegenstände, die ich irgendwo schön anordne oder mache zum Beispiel alleine auf einer Wiese in der Sonne einen Kranz daraus. Ich mache vieles sehr bewusst und kann durch das richtig eintauchen. Bei meiner Arbeit im Familienzentrum schreinere, baue, male oder gestalte ich sehr bewusst. Es tut mir gut, mit den Händen zu (er)schaffen und ganz für mich allein zu sein. Dies gibt mir Abwechslung und Power für alles andere in meinem Leben!

Was wünschst du dir für den frühkindlichen Bereich in der Schweiz?
Ich finde, der frühkindliche Bereich ist auf einem guten Weg. Gerade in Wetzikon tut sich in diesem Bereich sehr viel und seine Relevanz wird in der Politik anerkannt. Meiner Meinung dürfte aber alles ein bisschen schneller gehen. Für die Schweiz wünsche ich mir eine bundesweite Regelung für den Frühbereich, so dass alle Kinder in der Schweiz dieselben Voraussetzungen von Anfang an haben. Ebenso wichtig sind mehr Qualität und geschultes Personal in diesem Bereich, das wertgeschätzt und gut honoriert wird.