Aus Lapurla ist ein starkes Netzwerk geworden

Bericht zur ersten nationalen Tagung vom 17. & 18. Mai 2021

Text: Pirmin Bossart

Als transdisziplinäres Netzwerk will die nationale Bewegung Lapurla in Zukunft ihre bildungspolitischen Anliegen verfolgen. Ziel ist, für Kinder von 0–4 Jahren kreative Freiräume zu schaffen und ihnen kulturelle Teilhabe ermöglichen. An einer zweitägigen Konferenz mit internationaler Beteiligung wurde das Projekt mit neuer Energie gespiesen und konkretisiert. Lapurla ist eine gemeinsame Initiative von Migros-Kulturprozent und der Hochschule der Künste Bern HKB.

Die Nationale Tagung Lapurla wurde am 17. und18. Mai 2021 virtuell dreisprachig durchgeführt und stiess mit über 400  Anmeldungen auf ein grosses Interesse. Die engagierte Moderation der Lapurla Co-Leiterinnen Karin Kraus, HKB, und Jessica Schnelle, Migros-Kulturprozent, und die Qualität der Konferenz-Beiträge machten klar, wie sehr der angestrebte Bildungs-Paradigmenwechsel vielen Menschen am Herzen liegt. «Kinder von 0–4 Jahren können und wollen in hohem Masse kulturell teilhaben, sofern man sie lässt und Settings schafft, die ihren Bedürfnissen gerecht werden», fasste Karin Kraus das wichtigste Ergebnis der Pilotphase zusammen. Und für Jessica Schnelle ist klar: «Kulturelle Teilhabe zu ermöglichen heisst, Chancengerechtigkeit zu fördern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.» 

Von 2018 bis 2021 hat die nationale Initiative Lapurla mit 22 Modellprojekten in allen Sprachregionen der Schweiz vielfältigste Erfahrungen sammeln können. Die Projekte wurden dokumentiert, evaluiert und ambitioniert weitergedacht. Das Ergebnis: Schon die jüngsten Kinder können mit ästhetischen Erlebnissen in ihrer Kreativität gefördert und damit auch in ihrer Selbstwirksamkeit und Entscheidungsfähigkeit gestärkt werden.

Es sind Kompetenzen, die für eine zukünftige Gesellschaft immer stärker gefragt sind, wie Dr. Jakub Samochowiec, Autor der Studie Future Skills am Gottlieb Duttweiler Institute an der Tagung ausführte. «Was Kinder im Hinblick auf die Zukunft mit Sicherheit brauchen werden ist die Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen. Dafür ist  Kreativität unabdingbar.»

Eine Community aufbauen

Bestärkt von den Erkenntnissen aus der Pilotphase nahm Lapurla die Nationale Tagung zum Anlass, sich offiziell als Netzwerk zu etablieren. Das Netzwerk Lapurla soll Fachleute und Akteure der Kinderbetreuung und andere interessierte Personen zusammenbringen, die sich für eine Kultur der frühen Kindheit einsetzen. Lapurla will nicht nur in der konkreten Praxis einwirken und dort vermehrt kreative Freiräume für Kinder von 0–4 Jahren ermöglichen, sondern auch auf politischer Ebene Rahmenbedingungen schaffen, damit ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe in der frühen Kindheit gesetzlich verankert und mit Fördergeldern für Bildungsangebote nachhaltig weiterentwickelt werden kann. 

Das ist ganz im Sinne der beiden Träger von Lapurla. Migros-Kulturprozent verstehe sich als Impulsgeberin für Innovationen, auch um Lücken zu schliessen, sagte Hedy Graber, Leiterin Direktion Kultur und Soziales, beim Migros-Genossenschafts-Bund.. «Mit der Netzwerkgründung wollen wir einen Beitrag dazu leisten, eine Community aufzubauen, die eine starke Stimme hat. Und dafür sind Vernetzung und Austausch sehr wichtig.» 

Thomas Beck, Direktor Hochschule der Künste Bern HKB bezeichnete die Arbeit von Lapurla als «ein sehr gutes Beispiel für praxisbezogene Innovation und bildungspolitisch relevante Expertise». Die Gesellschaft sei darauf angewiesen, dass Strukturen geschaffen würden, die den jungen Kindern und ihren Eltern einen niederschwelligen Zugang zu den kulturellen Angeboten ermöglichten, «unabhängig von sozialen und ökonomischen Lebenssituationen». Denn: «Chancengerechtigkeit beginnt vor dem Eintritt in den Kindergarten.»

Eine politische Lobby für Kinder

Die Tagung war lustvoll aufbereitet und bot eine vielseitige Palette an Forschungsergebnissen, Erfahrungshintergründen aus den Projekten und von Netzwerkspartnern, Diskussionen mit Fachpersonen, Gelegenheit für Austausch der Teilnehmenden und Denkanstösse. Die Beiträge machten klar, wie wichtig die frühesten Jahre eines Menschen für seine Persönlichkeitsentwicklung sind und wie vernachlässigt dieser Bereich in der Schweiz gehandhabt wird – trotz Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention, in dem mit Artikel 31 das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben gefordert ist.

«Leider fehlt im Bundeshaus eine Lobby, welche die Stimmen der Kinder in der Politik hören lässt. Auch die Kultur hat eine schwache Präsenz», hielt die Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider fest. Als Co-Präsidentin von Alliance Enfance will sie dafür sorgen, dass «die Stimmen der Kinder lauter werden» und auch Lapurla unterstützen, um die Anliegen auf der politischen Ebene zu vernetzen. «Es ist wichtig, sich zusammenzutun, auf allen Ebenen direkte Ansprechpartner zu suchen und einen klaren Aktionsplan zu erarbeiten», riet sie dem Netzwerk.

Politisch besser verankert ist die Kultur der frühen Kindheit in Frankreich, wo etwa regelmässig Lesungen in Kitas oder Künstlerresidenzen in Kindergärten stattfinden, wie die Forscherin Sylvie Rayna von der Universität Sorbonne Paris berichtete. Für Bénédicte Savary, die die Arbeitsgruppe Lapurla Romandie koordiniert, bietet der Blick nach Frankreich eine wichtige Orientierung. Ein vorbildliches System für die Bildung in früher Kindheit hat die Stiftung Reggio Children in Reggio Emilia/Italien etabliert, deren Projekte und Forschungsergebnisse auch in andern Ländern Eingang finden. Im Gespräch zwischen Dr. Dieter Schürch, Mitglied der Arbeitsgruppe Lapurla Tessin, wurde die Verbindung zwischen Reggio Children und Lapurla deutlich. Stiftungspräsidentin Carla Rinaldi ist bis heute fasziniert von der Einzigartigkeit jedes Kindes, was sie als eine stetige Verantwortung wahrnimmt. «Wir müssen dem Kind eine Wirklichkeit anbieten, welche diese Einzigartigkeit fördert und in der das Kind sein Entdecken und Erforschen aufbauen kann, zusammen mit den anderen.»

Helfen macht hilflos

Die Interviews, die Cornelia Kazis mit Prof. Dr. Daniela Braun, Expertin in Lehre und Forschung für Kindheit und Kreativität, Hochschule Koblenz/D und mit dem Neurobiologen Dr. Gerald Hüther führte, waren sehr anschaulich. Die beiden Fachpersonen zeigten mit konkreten Beispielen und klugen Überlegungen auf, dass frühkindliches Lernen auf ästhetischen Erfahrungen basiert und wie Erwachsene sie in dieser Phase darin am besten unterstützen können. «Helfen macht hilflos», legte Daniela Braun klar. «Damit Kinder kreative Lösungen finden können, dürfen wir ihnen nicht helfen, sondern müssen ihnen quasi Herausforderungen bereiten und sie darin mit Fragen und Aufmerksamkeit begleiten.» Und Hüther warnte davor, kleine Kinder mit Belehrungen, Ratschlägen und Bewertungen einzudecken. «Man kann Menschen nicht verändern, aber man kann sie einladen, ermutigen, inspirieren, immer wieder auszuprobieren.»

Auf solchen Erkenntnissen basiert auch der Bildungs-Paradigmenwechsel, den das Netzwerk Lapurla letztlich fordert. Es ist ein Umgang mit Kindern, der begleitet, statt anleitet, der Freiräume schafft statt Vorgaben gibt, der inspiriert statt animiert, der vorlebt statt erklärt. Dazu gehört auch, dass Erwachsene sich immer wieder als Lernende begreifen. Und wahrnehmen, dass sie selber von Kindern lernen können. Für das Entdecken und Erfinden seien Kinder mindestens so begabt wie wir Erwachsene, sagte Dr. Heidi Simoni, Leiterin des Marie-Meierhofer-Instituts Zürich. «Also unterstützen und begleiten wir sie dabei, damit sie sich die Motivation für das Entdecken und Erfinden bewahren. Das geht nur, wenn wir beides auch in uns lebendig halten oder wieder wecken, wenn es verschüttet ist.»